Eröffnung (Lecture Recital)
In einigen Dörfern Süditaliens begleitet die besondere Verbindung aus Musik und Klang von Balkansprachen die Italogriechen und Italoalbaner noch immer zu bedeutenden Festen, während des Karnevals, zu Hochzeiten und Beerdigungen. Doch wie wird die Sprache weiterleben, da sie in der Schule nicht mehr unterrichtet wird?
Der Musikwissenschaftler Oliver Gerlach gibt einen Einblick in Sprache und Musik der Italoalbaner in Kalabrien und die Tradition der Kalimeret in der Gemeinde San Basile. Gianni Belluscio, Dialektforscher, Linguist, Phonetiker und Sänger, sowie Alberto Bellizzi und Samuel Bellizzi vermitteln in einem Lecture-Konzert einen Eindruck von dem Reichtum des Arbëresh.
Podiumsdiskussion
Unter dem Titel Die Geister, die ich rief … Der Zauberlehrling, Johann Wolfgang von Goethe zeigt Mandana Seyfeddinipur in ihrer Keynote auf, wie Globalisierung, Klimawandel, Urbanisierung und politische Unruhen zum Aussterben von Sprachen weltweit führen. Mandana Seyfeddinipur ist Linguistin und Direktorin des Endangered Languages Documentation Programme an der SOAS, University of London, das die Dokumentation von bedrohten Sprachen weltweit fördert. Als Expertin in den Bereichen des Sprachgebrauchs und der Multimodalität bildet sie Wissenschaftler aus, multimediale Sammlungen bedrohter Sprachen zu entwickeln.
Der Beitrag von Elisabeth Verhoeven, Juniorprofessorin am Institut für deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität, beschäftigt sich mit Maya- und Chibchasprachen in Lateinamerika und berichtet von ihrer Analyse und Dokumentation dieser Sprachen. Tom Güldemann, Professor am Institut für Asien- und Afrika-Wissenschaften an der Humboldt-Universität, stellt in seinem Beitrag die Forschungssituation und Projekte im afrikanischen Raum vor und spricht zur Sprachdokumentation in Afrika. Im Fokus stehen dabei sogenannte Khoisansprachen, die sich durch besondere Laute von den Sprachen in ihrer Umgebung unterscheiden.
In dem sich anschließenden Panel zieht Mandana Seyfeddinipur Elisabeth Verhoeven, Tom Güldemann, Oliver Gerlach und Gianni Belluscio ins Gespräch über Fragen der Verantwortung der Wissenschaft, der Dringlichkeit der Sprach- und Musikdokumentation und der Rolle von digitalen Technologien sowie Archiven in der Bewahrung des immateriellen Weltkulturerbes.
Wir bitten um verbindliche Anmeldung.
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About the concert:
Italo-Albanians (Arbëresh) in Calabria and the tradition of Kalimera at the Arbëresh village of San Basile
The earliest audio recordings of Arbëresh language can be dated back to
the beginning of the 20th century and they are preserved at two sound
archives in Vienna and Berlin. We have invited three guests from the
mountain village of San Basile near the border between Calabria and
Basilicata in order to present the cultural heritage of Balkan languages
which is not simply connected with the language, but also with
traditional forms of agriculture, gastronomy, local costumes, religious
customs and music according to the annual cycle (beginning with Carnival
and ending with the feast Epiphany).
The kalimera is a para-liturgical genre which is sung before Christmas
and during the Lent period, when the text in the local dialect explains
the life and Passion of Christ. This tradition can be traced back to a
literary prototype of the 18th century which was created by a local
priest Jul Variboba who composed a kalimera text in the local dialect
which was a kind synkretism between subaltern Orthodoxy and catholic
concepts around the virgin Mary. The kalimera text of San Basile follows
only roughly this prototype and shows the creative impact of an oral
tradition.
Italoalbaner (Arbëresh) in Kalabrien und die Tradition der Kalimeret in der Gemeinde San Basile
Die frühesten Tonaufnahmen der Sprache Arbëresh datieren zum Anfang des 20. Jahrhunderts und sie werden in zwei Tonarchiven in Wien und Berlin aufbewahrt. Wir haben drei Gäste aus dem Bergdorf San Basile eingeladen, das im Parco Pollino nicht weit von der Grenze zur Region Basilicata liegt, um das kulturelle Erbe der Balkansprachen in Süditalien vorzustellen, das nicht auf die Sprache beschränkt ist. Zu ihr gehören traditionelle Formen der Landwirtschaft, eigene Rezepte und Kostüme, religiöse Bräuche aber auch gemeinsame Musik, die mit dem Jahres- und Lebenszyklus verbunden sind (angefangen mit Karneval bis zum Fest der Befana, das im orthodoxen Kontext Theophania genannt wird).
Die Kalimera ist eine paraliturgische Gattung, die vor Weihnachten und während der Fastenzeit gesungen wird. Der Text erzählt das Leben und die Passion Christi im lokalen Dialekt der Sprache Arbëresh. Literarisch lässt sie sich auf ein Vorbild aus dem 18. Jahrhundert zurückführen, das vom Papàs Jul Variboba geschaffen wurde. Er war nicht nur der erste, der Arbëresh transkribierte, sondern er schuf mit seiner Veröffentlichung auch einen Synkretismus zwischen subalterner Orthodoxie und katholischen Konzepten der Heiligen Jungfrau. Der Text, der in San Basile gesungen wird, folgt diesem Vorbild mit einer Freiheit, die von dem kreativen Einfluss der mündlichen Überlieferung ausgeht.